Oder: Wenn die Grenzen erreicht sind.
Es ist sonnig aber kalt und als wir das Zipferl von Istrien wieder umrunden wird es auch windig. Wir hissen die Segel und es macht Spaß (ja, da ist er eh, der Spaß), die Kraft zu spüren, die die Mizzi antreibt. Die Wellen sind heute anders als sonst. Da bereits die ganze Nacht der Jugo (Wind aus dem Süden) geblasen hat, bietet uns das Meer heute Wellenberge. Nicht so kleine Hupferl, wie ich sie bis jetzt kannte, sondern richtig langgezogene, rollende, ich gebs zu, nicht sehr hohe, Berge. „Einen Meter sind die hoch.“ meint mein routinierter Skipper nach einem prüfenden Blick aufs Meer. Mir kommen sie höher vor. Der Bug der Mizzi hebt sich immer wieder weit aus dem Wasser und sinkt danach ebenfalls sehr weit wieder nach unten. Manchmal spritzt das Wasser hoch über den vorderen Teil des Bootes. Ich steuere, das macht diesmal schon besonders Spaß, es erinnert mich an das Piratenschiff im Wiener Prater. Hoch rauf und dann wieder steil bergab. Man spürt a bissl den Magen, wenn er eine kurze Zeit in der Schwerelosigkeit hängt. Übel wird mir aber nicht.
Halsen, leicht erklärt
Da noch immer der Jugo bläst und wir aber nach Süden müssen, wird gehalst. Das bedeutet, dass man das Boot wenden muss, um im Zick-Zack seinen Weg zu machen. Mit Gegenwind funktioniert das Weiterkommen beim Segeln nicht anders. Wir wenden, aber nicht mit der Nase, also dem Bug in den Wind, sondern mit dem Heck, wir halsen, sagt man. Mein praktischer Skipper hat es mir mit den romantischen Worten: „Mit dem Hintern durch den Wind.“ erklärt. Ja, das nenn ich mal eine Ansage, da weiß ich was er von mir will.
Sobald mein aktiver Skipper die Großschot angezogen hat, damit der Baum nicht völlig außer Kontrolle gerät, und die Genuaschoten (Seile vom Vorsegel) in den Händen hält, weiß ich, jetzt kommt mein Einsatz. Langsam steuere ich die Mizzi so, dass ihr Heck (also, ihr Hintern) in den Wind schaut. Dann beginnt mein kräftiger Skipper das eine Seil des Vorsegels anzuziehen (anzuholen) und das andere nachzulassen (zu fieren). Ich versuche den Kurs so lange zu halten, bis das Vorsegel seine Seite geändert hat. Dann steuere ich wieder so, dass der Wind die Segel füllt und es geht wieder weiter. Man darf aber bitte nicht die „Wellenberge“ vergessen, die ja net warten, bis man mit diesem Manöver fertig ist.
In der Ferne sehen wir schon den Leuchtturm Porer. Wir haben eine gute Geschwindigkeit, die Wellen lassen uns auf- und abhüpfen, wie eine Nussschale. Vollkommen logisch beim Segeln ist, dass man sich um vorwärts zu kommen, nach dem Wind richten muss. Eh klar. Das heißt allerdings, man kann net unbedingt ein Ziel anvisieren, man richtet sich eben nach dem Wind. Klingt logisch, ist aber blöd. So, also Richtung Leuchtturm funktioniert erstmal nicht. Wir müssen schräg daran vorbei. Zumindest ist unsere aktuelle Richtung so. Dann halsen wir (Hinternwende) und man hat das Gefühl wieder zurück zu fahren. Hin und Her, ich habe den Eindruck nicht von der Stelle zu kommen. Zuerst ist der Leuchtturm fast zum Greifen nah, nach dem Halsen entfernen wir uns wieder. Das ist zach! Anders gehts aber nicht. Wir legen Meilen zurück und kommen net wirklich weiter.
Dann schreit mein aufmerksamer Skipper „Delfin!“ Ja, tatsächlich! Er springt neben dem Boot heraus und schaut uns einmal sogar direkt an. Man hat den Eindruck er spielt sich in den Wellen. Dann ist er wieder weg. Herrlich! Ich grins.

Weiter gehts, auf und ab, hin und her. Und dann, plötzlich, sind wir am Leuchtturm vorbei.
Ich fühle mit ihnen, kann ihre Unsicherheit und Angst nachvollziehen.
Kurz darauf höre ich zum ersten Mal über Funk einen Notruf. Mein konzentrierter Skipper dreht gleich lauter und hört genau hin. Da ist ein Boot ohne Skipper unterwegs. Er ist aus- oder umgestiegen. Warum konnten wir nicht heraushören. Derjenige, der um Hilfe bittet, ist der englischen Sprache nicht mächtig. Sofort schaltet sich ein weiterer Funker dazu, er übersetzt den Notruf.
Meine Güte, denk ich mir, der Skipper ist eine Vertrauensperson, eine Bezugsperson, einer, der an Bord alles weiß und alles kann. Der, der einen im Notfall rettet und nicht einfach aussteigt. Ich bin schockiert.
Ich schau auf meinen Skipper. Ich vertraue ihm gerade mein Leben an, dass er auch mein Herz hat, ist eine andere Geschichte. (Ja, das Buch, ich weiß, habs nicht vergessen)
Der Notruf wird auf einen anderen Kanal gelegt und wir können der Kommunikation der Armen im Stich Gelassenen, denen aber mit Sicherheit aus ihrer Misere geholfen wird, nicht mehr folgen.
Der Wind lässt nach, was den Spaß des schrägen Dahingleitens rasch beendet. Allerdings können wir nun mit dem Motor direkt unser Ziel, eine Bucht, anvisieren. Jetzt wirds wieder kalt.

Die Wolkenwand hinter uns, die ich bereits seit geraumer Zeit skeptisch beobachte, verdeckt die Sonne und hat uns bald eingeholt. Es tauchen wieder die Quallen, wir wissen bereits, es sind Spiegeleiquallen, auf. Im 12 Grad kalten Wasser, mich schüttelt es, da wird mir gleich noch kälter.
Dann ankern wir. Mein unermüdlicher Skipper lässt nochmal die Drohne fliegen, ich fange sie erfolgreich und dann machen wir es uns in Mizzis Bauch gemütlich.

In der Nacht
In der Nacht ist immer alles schlimmer. Das hat was mit dem Großhirn zutun, ich weiß das. Trotzdem sehe ich in der Nacht alles schwarz und dunkel und das liegt eben nicht am fehlenden Licht. Wie gerne wäre ich nach Rovinj gefahren. Ich hab mich so darauf gefreut. Ich bin zutiefst enttäuscht und traurig.
Das schlechte Wetter hat unseren Ankerplatz erreicht. Das Boot wackelt stark hin und her, es drückt mich im Bett zuerst an die eine Seite und dann an meinen schlafenden Skipper. Der Baum schlägt immer wieder stark in die eine und dann in die andere Richtung, das erschüttert immer wieder das gesamte Boot. Es ist laut, und der Schlag des Baumes beim Seitenwechsel eben stark spürbar.
Ich versuche zu schlafen, es funktioniert nicht. Es ist viel zu laut, zu unruhig. Und dann… fängt mein tiefenentspannter Skipper laut und kehlig an zu schnarchen. Ich spüre den Kloß im Hals wieder, den ich bis jetzt so erfolgreich hinunter geschluckt hab. Ich versuche weiter stark zu sein, aber ich kann nicht mehr. Meine Grenze ist erreicht.
Zuerst leise, dann immer lauter jammere ich vor mich hin, bis mein erwachter Skipper die Lage schnell erkennt und aus dem Bett krabbelt. Nur in T-Shirt und Unterhose bekleidet wagt er sich in den kalten Wind, ich höre ihn oben herum werken und das Schlagen hört schnell auf. Er kommt wieder herein, legt sich zu mir, er ist ganz kalt. Er küsst mich auf die Wange und sagt beruhigend: „Es ist alles wieder gut.“ Er kuschelt sich an mich und wärmt sich bei mir auf. Er hat die beneidenswerte Gabe in Sekundenbruchteilen einzuschlafen. Das demonstriert er mir sofort. Leise atmet er mir ins Genick. Und irgendwie ist alles plötzlich doch nicht mehr so schlimm.
(Fortsetzung folgt)
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