Oder

„Muss ich denn sterben, um zu leben?!

Mit dem Taxi geht`s heute Abend ins Ronacher. Neben mir sitzt mein charmanter Begleiter. Erstaunt erwähnt er immer wieder die Menschenmassen die sich samstagabends durch die engen Gässchen des ersten Bezirkes schieben und weswegen unser Taxi mit weiteren Fahrzeugen immer wieder zum Stehen und Warten gezwungen wird.

Ich liebe es! Viele Menschen, das rege Treiben. Das Leben, den Trubel. Meine Stadt, mein Revier!

Vor dem Theater stehen gleich mehrere Menschentrauben. Sie wollen hinein, hinaus, vorbei, oder einfach nur davor stehen und auf die Vorstellung warten.

Wir mitten drin. Hand in Hand betreten wir im Gewurdl die Eingangshalle.

Wir registrieren die Garderobe, die Eingänge zu den Rängen und auch hier unzählige Besucher, viele mit Getränken in den Händen.

Ich will auch!

Mein aufmerksamer Begleiter hat direkt vor dem Eingang des Theaters eine kleine Bar gesehen. Er zieht mich zurück durch den Ausgang zu einem jungen Mädchen, das uns fröhlich lächelnd jedem ein Bier in die Hand drückt. Nicht gratis, versteht sich.

Glücklich halten wir uns und unsere Getränke und beobachten, jetzt ebenfalls vor dem Theater stehend, unter all den unzähligen Besuchern neugierig die anderen Gäste.

Deren Outfits reichen vom supergemütlichen Schlabberlook bis hin zum an der Taille ausgeschnittenen Ballkleid, das bei dieser Trägerin leider nicht so gut zur Geltung kommt und mitleidig (auch von anderen) belächelt wird.

Rein mit uns!

Unsere Biere sind leer (es waren kleine Flascherln!), wir drücken sie dem Bar-Mädchen in die Hand und betreten zum zweiten Mal das Theater. Die Garderobe wird ebenfalls von jungen, äußerst freundlichen Mädchen betreut und diese nehmen uns gleich ohne viel Anstehen oder Gedränge die Jacke meines erwartungsvoll dreinschauenden Begleiters und meinen Mantel ab.

Danach geht`s ans Plätze suchen, doch auch das wird uns äußerst kompetent und freundlich abgenommen.

Ein wiederum junger Mensch wirft kurz einen Blick auf die Tickets in unseren Händen und bringt uns beschwingt zu unseren Plätzen. Am Tonregietisch vorbei mit seinem Salzbrenner Stagetec Aurus, dem digitalen Mischpult-System mit 224 Inputs, 176 Outputs und 128 Mix Busses. (hab ich gegoogelt und OMG!!! Dieses Ding ist der Wahnsinn!!)

In Reihe 15, Platz 7 und 6.

Freie Sicht!

Mein liebevoller Begleiter überlässt mir den Platz am Gang und somit den uneingeschränkten Blick auf die Bühne, die natürlich noch hinter einer neun Meter hohen Spiegelwand in Blau/Schwarz verborgen ist.

Rund um uns füllt sich der Saal. Die Vorstellung ist ausverkauft. Das Ronacher bietet zirka eintausend Sitzplätze. Mehr ist da wohl nicht mehr zu sagen.

Ein erwartungsvolles Raunen aus eben diesen tausend Kehlen erfüllt das wunderschöne Theater, als die Lichter gedimmt werden.

An den Wänden vor jedem Rang, auch ober uns sind schwarze Tafeln befestigt. Wozu diese dienen? Ich weiß es (noch) nicht.

Ich bin von dem gewaltigem Lüster und der Wandmalerei direkt über mir begeistert. Was für ein wunderschönes, traumhaftes Ambiente!

Es geht los!

Es klingelt mehrmals, danach wird es ganz dunkel. Nur von der Bühne strahlt das Licht der von den Spiegeln reflektierten Scheinwerfer.

Eine angenehme männliche Stimme verkündet über Lautsprecher den Beginn des Musicals, das vom Orchester der Vereinigten Bühnen Wiens begleitet wird.

Die große Spiegelwand hebt sich. Im Saal wird es mucksmäuschenstill.

Dahinter eine größere Gruppe weiß gewandeter Menschen, ihre Blicke traurig, betroffen, ungläubig.

Lasst ihn auferstehen, den Falken!!!

Aber nein!

Zuerst muss er sterben. Wieder.

Das Stück beginnt mit dem Ende. Seinem Ende.

Das Ensemble, geschlechtsunabhängig in weißen Anzügen, auch teilweise in den Gängen zwischen dem Publikum verstreut, berichtet abwechselnd von diesem unglaublichen Unfall in der Dominikanischen Republik.

Es gibt wohl kaum jemanden hier unter uns Zuschauern, der nicht Bescheid weiß. Ein Unfall, oder?

Aber jetzt!

Schnell verändert sich das fast zwölf Meter breite Bühnenbild in eine Schulklasse und der kleine Hansi Hölzel betritt die Bühne. Er verkündet lautstark, dass er bald ein Superstar sein wird.

Zu „Nie mehr Schule!“ tanzt er mit seinen „Schulkollegen“ auf den Tischen in der Klasse. Der Lehrer ist hilflos und die Stimmung im Publikum wandelt sich in Sekundenschnelle. Wir grinsen, wippen und singen mit.

Auf den schwarzen Tafeln stehen die englischen Untertitel. Wie genial!! Sobald Falco englisch singt, zeigen sie nichts an, sobald er aber sein näselndes Wienerisch zum Vorschein bringt, flammen die anderssprachigen Infos über Gesagtes, oder Gesungenes auf. International! So solls sein!

Der nächste Sprung zeigt den erwachsenen Hansi als Bassist bei der Hard-Rock/Punk-Band „Drahdiwaberl“ noch immer seinen Traum verfolgend (und seine Mutter damit schrecklich unglücklich machend) ein Superstar zu werden. Mit „Ganz Wien“ wird man dann endlich in der Musikbranche auf ihn aufmerksam.

Die Beschallung ist einzigartig! Das ist live?? Das ist ein Orchester?? Der erwachsene „Hansi“ (Moritz Mausser) hat eine Stimme zum Niederknien. Ich bin hin und weg. Die Hand meines wohl ebenfalls beeindruckten Begleiters auf meinem Schenkel wird unruhig und ich bemerke unsere Emotion auch rund um uns, wahrscheinlich im ganzen Saal.

„Der Kommissar“ zu dem wohl jeder seine Lippen bewegen muss reißt uns Zuschauer vollends mit.

Den Namen „Falco“ nimmt sich Hansi einfach vom damaligen deutschen Skispringer Falko Weißpflog und somit/damit stehen dem österreichischen Ausnahmetalent wohl alle Türen offen.

Er genießt selbstverliebt und prepotent seinen Ruhm, sonnt sich im Licht der Scheinwerfer und des Medienrummels und ist wohl endlich dort, wo er schon so lange sein möchte. Der Song „Egoist“ passt hier natürlich herrlich hin, wurde aber, das weiß sogar ich gleich vor Ort, erst später geschrieben.

Weiter hinten auf der fünfzehn Meter tiefen Bühne taucht ein riesiger, silberfarbiger Kopf mit Falcos Gesicht auf. Er bewegt sich langsam nach vorne und wieder nach hinten. Wird trotz seiner Größe eher unauffällig in die Show eingebaut.

Zwischen den Songs wird dem Publikum immer wieder Falcos Zerrissenheit demonstriert. Steht er im Rampenlicht, sehnt er sich nach Frau Isabella (Katharina Gorgi – hat dieses Mädel eine Stimme!!!) und Kind. „Emotional“

Ist er dann endlich nach Tourneen und unzähligen Auftritten zuhause bei seiner Familie, treibt es ihn wieder auf die Bühnen, die Musikwelt und den Trubel hinaus.

Außerdem ist der Druck auf ihn einen Hit nach dem anderen abliefern zu müssen enorm. Zwischen den berühmten, allseits bekannten Songs erleben wir einen zutiefst verstörten, zerrissenen Superstar.

„Jeanny“ !!!

Moritz´ (Falcos) letzter Schrei zu diesem Lied erzeugt auf meinen Armen Gänsehaut und kurz muss ich nach Luft schnappen.

Die beeindruckende Bühnenshow, die mitreißenden Choreografien des wunderbaren Ensembles, das aufwändige Bühnenbild (immer wieder schieben sich unterschiedliche Räume aus den Seiten in unseren Blickwinkel) und die schillernden Kostüme verzaubert uns alle, nehmen uns alle mit auf die Reise dieses so unglücklichen Superstars.

Die exzessiven Partys und Falcos Auftritte wechseln sich ab, während Drogen, Alkohol und leichte Mädchen en masse konsumiert werden. Da wie dort. In einem Stroboskopgewitter wird ein nahezu unkontrollierter Rausch aller Sinne dargestellt. Ein enormes Hoch. Ein Höhenflug.

Und dann…

Der große Durchbruch mit „Rock Me Amadeus“ in den USA. Platz eins! Die Freude ist unermesslich. Bis auf einen. Falco rastet völlig nach dieser Nachricht aus. Nie wieder wird er so einen Hit landen können, nie wieder wird er so etwas schaffen können. Ab jetzt kann es nur mehr bergab gehen!!

Die anstehende Tournee in Amerika wird natürlich mit „The Sound Of Music“ eingeläutet. Die Amis sind begeistert vom Falken, aber auch ein bisschen verstört und überrascht. Er ist nun mal exaltiert, schrill und bizarr.

Zu „America“ tanzen einige Mitglieder der Besetzung in glitzernden Anzügen, die Bühne schillert, glänzt und lebt. Reißt mit!

Der Teufel, den wir doch alle in uns haben …

Zwischen Falcos Höhenflügen taucht immer wieder sein Alter Ego (Alex Melcher, oh auch er ist göttlich!!) auf. Und während sich Falco wieder nach Heim und Familie sehnt, meldet sich der – tja, nun sein innerer Teufel, wenn man so will – er treibt ihn weiter sich nicht zur Ruhe zu setzen.

Der große silberfarbene Kopf hat sich gedreht, man blickt jetzt sozusagen hinein. Darin ein rot beleuchtetes Gewirr aus Kabeln und Schläuchen und mitten drin auf einem Stuhl weit oben, fast an der Schädeldecke sitzt er, Falcos „Teufel“. Langsam senkt sich der Sitz mit Künstler, der sich unten angekommen unauffällig abschnallt und (mit einer Traumstimme die unter die Haut geht) den Ausnahmekünstler anstachelt. Schneller—-höher—-weiter! „Dance – Mephisto!“

Falco verliert Frau und Kind und wird in einem Strudel des Ruhmes, der Musik, der Drogen und der Exzesse mitgerissen.

Kurz drauf erfährt er, dass das Kind – wie wir ja bereits alle hier im Publikum wissen – gar nicht seines ist und somit blickt er in den endgültigen Abgrund seiner mentalen Gesundheit. „Titanic“

Danach wird schnell klar, er muss weg, oder untergehen. Sein neues Domizil befindet sich in der Dominikanischen Republik. All seine Freunde besuchen ihn, feiern mit ihm. Eine neue Liebe küsst ihn und das Leben dürfte endlich wieder in geordneten Bahnen laufen.

Endlich Frieden.

Dann der Unfall…

Der Kreis schließt sich.

Die weißgewandeten Tänzer befinden sich wieder verteilt auf der Bühne und in den Gängen. Sie erzählen von diesem unglaublichen schicksalhaften Unfall. Oder wars doch keiner? „Out Of The Dark“

Ergriffen über ein Ende, das ich bereits kenne, tropfe ich heimlich vor mich hin. Hinter mir wird geschnäuzt. Wir sind alle berührt, gerührt.

Und dann…

… gehen die Lichter wieder an.

Minutenlange Standing Ovation. Ich habe neben meinen Tränen im Gesicht, Gänsehaut auf den Armen.

Alle sind wir ein bisschen aufgelöst, ergriffen, benommen.

„Muss ich den sterben, um zu leben?“ Ja, Hansi, … ich denke… ja.


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