Ich recherchiere… es gibt noch einige (von mir) unentdeckte, geheime Bars in Wien. Ich grins. Mein Hobby wird wohl immer mehr, diese Bars aufzuspüren und den Code zu knacken.

Wer seinen Drink hinunterstürzt oder keinen Sinn für Details hat, sollte den Türcode zu Semih Aybars Reich erst gar nicht anfordern. Hier wird wie beim Maßschneider mit Sorgfalt gearbeitet – was beim Eis beginnt und bei den kreativen Twists, die Aybar noch so vertrauten Cocktails angedeihen lässt, endet. (falstaff)

Ich mag diese Geheimniskrämerei. Diese hinter vorgehaltener Hand genannten Namen und Tipps. So wirklich geheim ist es dann ja eh nicht, aber so ganz offiziell halt auch nicht, das macht für mich den Reiz aus. Und das ist sicher nicht nur für mich so.

Diesmal werde ich mit Sabine, die endlich wieder mal einen Babysitter für ihre kleine Tochter bekommen hat, eine für uns, neue Bar besuchen.

Ich habe unser Ziel der Begierde im Netz gefunden und Sabine gebeten zu reservieren. Diesmal gab es nur eine Telefonnummer. Ich bin bereits gewöhnt, über homepages zu reservieren und die Bestätigungen, oder das Setzen auf eine Warteliste über Mail zu erhalten. Diesmal war die Vorgehensweise persönlicher. Sehr persönlich sogar.

Laut Sabines Bericht wurde ihr Anruf höflich entgegengenommen. Eine Reservierung vor 21.30 wäre jedoch nicht möglich, da im Lokal ein Gin-Event mit geschlossener Gesellschaft abgehalten wird. Wir könnten erst später unsere Plätze reservieren.

Sabine hätte daraufhin begonnen zu raunzen, dass sie Mutter einer kleinen Tochter sei, jetzt endlich einen Babysitter ergattern konnte. Die Zeit ausnutzen und diese in genau dieser Bar verbringen wolle. Dass sie sowieso kaum wegkäme und jetzt endlich eine Auszeit bräuchte.

Was soll ich sagen? Sie hat zwei Plätze um 21 Uhr bekommen. Der freundliche Mensch am anderen Ende der Leitung hatte Mitleid und Verständnis. Er heiße Semih und wir sollen ihn beim Eintreten ansprechen. Dann gab er Sabine noch einen vierstelligen Code.

Und los geht´s!

Ich hole Sabine um 19 Uhr bei sich zuhause ab und gemütlich schlendern wir in Richtung unseres Zieles, dem

Plus 43.

Da wir zu früh dran sind, kehren wir noch in einem anderen Lokal ein. Gönnen uns dort frische Kartoffelchips und Pommes mit Dips, damit die Unterlage auch passt. Man weiß ja Bescheid.

Wir sind in einer gemütlichen Café/Bar. Das Servicepersonal ist sehr freundlich, zuvorkommend und lustig. Wir bekommen ohne Probleme einen kleinen Tisch und legen uns die kalorienreiche Kost zu.

Endlich wieder mal in Ruhe quatschen. Frauenthemen. Beziehungsthemen. Alltagsthemen. Sie genießt es, ich auch. Gerne würde ich mich öfter mit ihr in Ruhe austauschen, sie öfter treffen, doch dies lässt die aktuelle Situation nicht zu. So nutzen wir jede Minute lachen und erzählen uns von unseren Alltagen, die im Moment verschiedener nicht sein könnten.

Ich, Mutter eines Erwachsenen, auf Selbstfindungstrip; sie, Mutter eines Kleinkindes, von einer Kindergeburtstagsparty zu nächsten hetzend. Wir haben uns viel zu erzählen.

Ein junger Mann vom Service kommt vorbei und fragt Sabine: „Möchten Sie noch etwas? Darf ich Ihnen noch etwas bringen?“ Nein. Sabine ist entsetzt. „Ich bin alt,“ meint sie, „er siezt mich!“ Ich versuche sie zu trösten, doch als sie die Rechnung will und den Buben mit „Herr Ober!“ ruft, bekomm ich einen Lachkrampf und meine dann, sie sei selber schuld. Der Bub lacht mit. „Ja, wir müssen an deinen Umgangsformen üben“ meine ich liebevoll und sofort wird zu dritt diskutiert, wie man den Buben denn dann rufen könnte. Es ist lustig und lieb und wir fühlen uns wohl.

Dann geht´s endlich, nur ein paar Meter, weiter in das Plus 43. Ein paar Minuten später stehen wir vor einer unscheinbaren Tür, eine Haus- oder Türnummer ist nicht zu erkennen. Das Gebäude ist eingerüstet. Nichts hier sieht einladend aus. Hier? Wirklich?

Jetzt den Code…weißt du ihn noch?

Nach der ersten Tür befindet sich eine zweite. Auf der wiederum ist eine große Nummerntastatur ohne Beschriftung. Sabine gibt den Code, den sie bei der Reservierung bekommen hat, ein.

Und dann…. geht die Tür auf.

Dahinter liegt, wie bei all diesen Bargeheimnissen, eine andere Welt…

Wir treten ein und befinden uns in einem Raum von knapp 30 Quadratmetern. Vor uns befindet sich eine große, wunderschöne Bar. Der Raum ist fast voll von gut gekleideten, jungen, schönen Menschen. (Sabine hat eine Hose und einen dicken Pullover an. Auch ich habe bei diesen winterlichen Temperaturen auf ein heißes Outfit verzichtet und trage eine beige Hose und ein dunkelgrünes, langärmliges Spitzentop. Wir fühlen uns ein bisschen underdressed und fehl am Platz.) Auf allen dafür brauchbaren Stellen, befinden sich große Teller oder Tabletts mit herrlichen Brötchen und anderem Fingerfood. Im Hintergrund ist entspannter Lounge/Jazz zu hören.

Wir werden fast augenblicklich von einem jungen Mann abgefangen. Nun, dass das eine geschlossene Gesellschaft wäre und leider, diesmal kein Platz…..Sabine unterbricht den jungen Herrn und stellt schnell klar, wer wir sind.

Und dann….

Der geschäftsmäßige Gesichtsausdruck des Buben unter dreißig ändert sich in der Millisekunde. Er strahlt und sofort freundlich an und wird rege, ja, fast aufgeregt. Er sei besagter Semih und freue sich wahnsinnig über unser Kommen. Er beginnt uns zwei Plätze an der Bar freizuräumen, wenn wir wollen, können wir dann ja auch wo anders Platz nehmen.

Wir sind sehr zufrieden mit unseren Barhockern und machen es uns bequem. Semih weiht währenddessen die beiden anderen Damen des Servicepersonals ein, die uns ebenfalls äußerst freundlich begegnen und uns anlächeln. Schnell stehen die ersten beiden Gin-Tonic vor uns. Die gehen natürlich aufs Haus.

Wer hat Geburtstag?

„Liebe Sabine“, meint Semih, „der heutige Tag wird gefeiert, als wäre er dein Geburtstag!“ Vor uns werden frische Popcorn, wunderschöne Brötchen, undefinierbare knusprige Stangen und süße Schoko/Himbeer-Creme in kleinen Bechern abgestellt. Wir sollen zugreifen.

Außerdem gibt es für uns keinen Timeslot. Soll heißen, wir müssen nicht wie die anderen Gäste nach zwei Stunden den nächsten Platz machen.

Die überschwängliche Freundlichkeit, diese äußerst positive Begegnung lässt uns endgültig unsere zu viel Haut bedeckende Kleiderwahl vergessen. Wir entspannen und fühlen uns wohl.

Die Gin Tonic sind gut und dann bald leer und wir bestellen uns von der interessanten Getränkekarte neugierig zwei verheißungsvolle Cocktails. Die Mädels hinter der Bar beginnen eifrig zu mixen und zu schütteln. Sie wirken sehr seriös und wissen was sie tun.

Noch lange sind die oft erstaunlichen Erlebnisse seit dem letzten Treffen von Sabine und mir nicht erzählt und wir tauschen weiterhin unsere Alltagserlebnisse aus. Ich bin sehr froh, kein kleines Kind mehr zu haben. Die Geschichten, die sie mir mitteilt, würden mich an meine Grenzen und darüber hinaus bringen.

…er nicht… du schon!

Dieser ewige Wettbewerb, wessen Kind wo und wie am allerbesten sei. Welche extremen Ökomaßnahmen der bereits alles kopierenden Brut weitergegeben werden, wobei gute Umgangsformen und wichtiges gesellschaftliches Benehmen leider auf der Strecke bleiben. Provokantes „—er darf das nicht….du aber schon….“ bringt natürlich eine gewisse Unruhe in die Gruppe kleiner Menschen.

Wie erleichtert bin ich von meiner Arbeitswelt, meinen Bar- und Discobesuchen und natürlich meinen Männerbekanntschaften zu berichten. Wie einfach, oft lustig und (meistens) unkompliziert sind dagegen meine Geschichten.

Cheers!

Unsere Cocktails werden freundlich lächelnd serviert, für mich einen „Fruity Rock“, für Sabine einen „Spicy Indian“. Sie schmecken herrlich und wir schlürfen glücklich grinsend an den doch recht starken Kreationen.

Immer wieder kommt Semih vorbei und fragt, ob es uns gut geht und ob wir noch etwas brauchen. Eine derart aufmerksame, freundliche Betreuung sind wir beide nicht gewöhnt. Als wären wir Promis, oder Ehrengäste. Naja, gut, letzteres sind wir ja wirklich, wegen Sabines Nicht-Geburtstag.

Langsam löst sich die geschlossene Gesellschaft auf, die Jungen, offensichtlich Reichen und nun ja, auch Schönen verlassen in noblen Grüppchen die Location. Stattdessen kommen neue Gäste und bald sind die wenigen Tischchen wieder alle besetzt.

Geschüttelt und gerührt!

Die Cocktailbestellungen reißen nicht mehr ab und die Damen an der Bar zeigen was sie können. Auch Semih hat ganz augenscheinlich ebenfalls eine Barkeeper-Ausbildung. Die Eiswürfel für die zu mixenden Getränke werden in die Luft geworfen und mit den Shakern aufgefangen.

Sie schreit für ihn….laut.

Rechts neben mir hat sich eine blonde, etwas füllige, junge Frau niedergelassen. Sie redet ununterbrochen auf Semih ein, hört nicht einmal auf, wenn sie an ihrem Cocktail schlürft, dann gurgelt und blubbert es. Sie hat ihm wohl viel zu erzählen, denk ich und grins.

Und dann…. fängt Semih wieder an Eiswürfel zu fangen. Die Blonde schreit verzückt auf und kriegt sich überhaupt nicht mehr ein. Sie quietscht und kreischt, als würde sich der engagierte Barkeeper direkt vor ihren Augen in Luft auflösen, oder verwandeln. Obwohl, denke ich mir, in ihren Augen verwandelt er sich bereits sehr wohl, wahrscheinlich hat er für sie bereits keine Hose mehr an.

Ihr Schreien, Quietschen und Plappern ist wohl nie wieder zu stoppen und es ist mehr als offensichtlich, dass sie dem freundlichen Barkeeper nicht nur jetzt, sondern bitte auch später in der Horizontalen ins Ohr schreien will.

Ich drehe ihr ein bisschen den Rücken zu und widme mich meiner viel entspannteren linken Sitznachbarin. Sabine ist mit ihrem Cocktail fertig und studiert bereits wieder die Karte. Na gut, dann mach ich da mit meinem Fruity auch weiter und gemeinsam bestellen wir für uns eine neue Runde.

Ui! Der ist gut!!

Ich bestelle einen „Chi Chi“, Sabine will „The Dictator“. Während wir warten, lassen wir uns die Brötchen und Stangen vor uns langsam schmecken, sie sind köstlich! Die laute Blonde schaut neugierig zu unserem Teller. Tja, wir sind hier die Vips, Blondie! Ich lächle sie etwas unterkühlt an und für einige Sekunden hört sie sogar zu quietschen auf.

Eine Bardame macht Sabine darauf aufmerksam, dass der bestellte Diktator rein aus Alkohol besteht, er somit sehr stark ist. Ob sie ihn wirklich will? Jaaaa, bitte!! Die Barkeeperin nickt gefällig und beginnt ihren Shaker mit doch einigen harten Getränken zu füllen. Na ich bin gespannt.

Nach kurzer Zeit stehen unsere flüssigen Glücksbringer vor uns. Meiner ist knallrot im hohen Glas, Sabines kommt in einem weißen, runden Becher daher, auf ihm liegt spektakulär eine brennende Maracujascheibe. Der Obstbrand dauert nicht lange und Sabine macht einen ersten zaghaften Schluck. Sie grinst. Lässt mich kosten, er brennt im Mund und beim Darüberbeugen auch in den Augen. Na servas!

Mein „Chi Chi“ ist dagegen eine leichte, fruchtige Gaumenfreude. Jetzt grins ich. Ja, der ist gut!

Und während wir unsere Drinks genießen und uns die letzten Bissen der kleinen Köstlichkeiten so damenhaft wie möglich in die Münder stecken, schreit die Blondine hinter mir noch immer laut nach körperlicher Liebe. Na, ob des heute noch was wird?

So jung komma nimma zsam!

Relativ schnell ist Sabine mit ihrem sicherlich alle Bakterien abtötenden Getränk fertig. Was trinken wir jetzt? Ich überlege kurz, muss ja noch alleine mit der U-Bahn heimfahren und sollte dabei alle Sinne beisammen haben.

Ich entscheide mich nochmals für den „Chi Chi“, ein liebes, feines, erfrischendes Getränk. Es würde auch bei heißen Sommertagen passen, so fruchtig und frisch. Und danach ist man sich sicher, keine (oder zumindest nicht sehr viele) Gehirnzellen eingebüßt zu haben. Ja, den will ich. Sabine will den „Burning Pirate“.

Die Damen hinter dem Tresen beginnen wieder zu rütteln, zu schütteln und zu rühren. Diesmal gibt es keine Alkoholwarnung und relativ rasch stehen unsere frischen Getränke vor uns. Meinen kenn ich ja schon und ich schau ihn liebevoll an. Vor Sabine steht eine kleine Laterne, darin Rauch. Beim Öffnen tritt der Rauch aus und enthüllt ihren bestellten Cocktail. Sie freut sich und schnappt ihn sich gierig.

Sie kostet und reißt die Augen auf. Ob ich kosten mag. Ach nein, ich bleib bei meinem. Danke, Süße.

Ein Abend ohne Sex

Semih stellt sich zu uns und meint, dass es ihn sehr gefreut hat uns kennen gelernt zu haben und dass wir hier jederzeit herzlich willkommen seien. Seine Schicht sei nun zu Ende und er macht sich auf den Heimweg. Er verabschiedet sich und umarmt uns, als würden wir uns bereits seit Jahren kennen. Die Blonde hinter mir verstummt. Ich höre noch ein leises Wimmern, dann ist sie still.

Eine angenehme Ruhe tritt ein, seit die notgeile Willige nicht mehr herumschreit. Man hört die Loungemusik und die sich leise unterhaltenden Gäste wieder. Entspannung tritt ein. Wir grinsen selig und schlürfen an unseren Cocktails.

Sie fängt an, wenn wir fertig sind

Sabine beginnt immer öfter auf ihre Uhr zu schauen. Um zwölf macht der Babysitter Schluss, beziehungsweise fängt dann an. Das junge Mädchen, dass Sabines Tochter heute Abend beschäftigt und dann niedergelegt hat, will dann losziehen und Party machen.

Allmählich wird meine Freundin unruhig und wir bitten um die Rechnung. Wir zahlen und auch die jungen Barkeeperinnen wünschen uns noch freundlich einen schönen Abend.

Ab nach Hause!

Unsere Cocktails sind leer. Wir schlüpfen in unsere Jacken und verlassen die Bar.

Ein wunderschönes, kleines Geheimnis haben wir da entdeckt. Das Ambiente ist sehr gemütlich, das Service außerordentlich freundlich und zuvorkommend, die Drinks hervorragend und die Preise erträglich. Gerne wieder!

Draußen ist es kalt und die frische Luft lässt uns flott ausschreiten. Und während Sabine versucht mir ihre geistigen Ergüsse in teils fremden Sprachen laut mitzuteilen, versuche ich lächelnd uns halbwegs geradlinig zurück zu bringen.

Gute Nacht.


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