An und für sich, bin ich ein verträglicher, freundlicher und humorvoller Mensch. So wie man in den Wald hinein ruft, so schallt es zurück, sagt man. Und mit diesem Motto gehe ich meistens auch durch mein Leben. Tagtäglich grinse ich trübsinnige und grantige Gesichter an und nur bis auf wenige unbelehrbare, erhalte ich ein Lächeln zurück, die Mine des Gegenübers erhellt sich und auch ich freue mich über sein Antwortlächeln. Kurz gesagt, mir scheint für gewöhnlich die Sonne aus dem Arsch und es gibt eigentlich nur wenig, das sie erlöschen lässt.
Dann kommen sie, woher auch immer, herausgekrochen….
Wenn sich dann endlich die trübe und kalte Jahreszeit in eine bunte und warme wandelt, kommen auch sie wieder hervor. Zusätzlich zu Gelsen und Wespen bremsen auch diese Kreaturen meine fast unbändige Euphorie über den nahenden Sommer.
Ein abartig buntes Auftreten, alleine, aber auch in Rudeln, lässt meine Sonne (die aus dem Arsch) in kürzester Zeit zu einem aufgeblähten Roten Riesen werden. Diese Metapher fühlt sich auch tatsächlich so an.
Die freie Wildbahn dieser farbenfrohen Geschöpfe ist die Straße, die sie zu Beginn der wärmeren Jahreszeiten einfach für sich einnehmen.
Oft taucht so ein Wesen vor meinem Fahrzeug auf, wenn ich nach einem langen Arbeitstag nach Hause fahren will. Mein Wunsch ist dann ein zügiges Voran- und Heimkommen.
Hier tritt dann bei mir rasch eine Art Luftknappheit mit einer ausgewachsenen Wutattacke in Kombination auf. Mit einem meist hörbaren, kehligen Schluchzen, sauge ich den benötigten Sauerstoff wieder in meinen verkrampften Körper. Mein Puls steigt. Ich kann ihn hören und spüren. Meine Wangen und mein Hals färben sich rot, auch das kann ich spüren. Meine Hände werden feucht. In meinem Mund sammelt sich Speichel, um wortreich meiner sommerlichen Knechtschaft Luft zu machen.
Der Grund meiner emotionalen Beschneidung ist schnell erklärt. Ein rasches Vorwärtskommen ist nun nicht mehr möglich. Der bunte Geselle blockiert ab sofort vor mir die Straße. Die Geschwindigkeit wird auf zwischen zwanzig und dreißig Stundenkilometer verringert und konstant dort gehalten. Ein Überholen ist meist nicht mehr möglich, da zu dieser Zeit meist verstärkter Straßenverkehr herrscht und ununterbrochen Fahrzeuge entgegen kommen.
Einer von uns!!
Es handelt sich tatsächlich um ein Menschenkind in hautengem Clownskostüm. Es sitzt tief gebeugt auf einem hauchdünnen Fahrrad und strampelt vor sich hin. Die Waden, meist nackt, sind für mich als Masseurin optisch noch ein erfreuliches Erlebnis. Der restliche Anblick lässt mich nur meinen wutroten Kopf schütteln. Ein unsagbar hässlicher Topf als Helm rundet die grellbunte Erscheinung noch ab. Durch die Haltung des sportlichen Individuums bekommt man als nachfahrender Autofahrer ständig den knochigen Arsch entgegen gestreckt.
Spätestens jetzt, steigt der Blutdruck jedes Autofahrers in gefährliche Höhen.
Es gibt Radwege!
Ich räume jedem seinen Wunsch nach sportlicher Ertüchtigung ein. Da aber doch tatsächlich meistens eigens dafür gebaute Radwege angeboten werden, diese aber aus mir unerfindlichen Gründen, nicht benutzt werden, lässt bei mir eine Art Blutrausch entstehen. Denn dieses Gezappel dauert an. Kilometer über Kilometer bewegt sich der Minihintern kurz nach links und dann nach rechts.
Leise beginne ich zu wimmern. Will nachhause….bin müde…..geh weg! Ich werde lauter, werde einfallsreicher und kreativer. Ich beginne ihm zu deuten und zu hupen. Der fröhlich bunte Sportler vor mir hebt eine Hand und zeigt mir den Mittelfinger.
Jetzt schrei ich los. Der Speichel in meinem Mund macht sich nun bezahlt. Ich tobe in meinem, mit 20 km/h schleichenden, Fahrzeug. Ich schreie so laut und artikuliere so wild, das sich auf der Innenseite meiner Frontscheibe kleine Pünktchen meines spritzenden Speichels wieder finden.
Endlich!
Endlich kann ich überholen. Es ist ein riskantes Manöver, kurz vor einer Kurve. Ich riskiere es. Beim Vorbeifahren drücke ich nochmals Hupe und Gaspedal und hoffe, dass der Grund meines mentalen Entgleisens, entweder an meinen Abgasen erstickt, oder sein Gehör verliert. Oh! Wie oft habe ich mir für solche Begegnungen ein Nebelhorn gewünscht.
Wieder Herrin aller meiner Sinne, beschleunige ich weiter, drehe die Musik wieder lauter und nähere mich, langsam wieder entspannend, zügig meinem Zuhause.
Ein buntes Allerlei!
Nach der nächsten Kurve muss ich scharf bremsen. Vor mir, man glaubt es kaum – man will und kann es gar nicht wirklich glauben, ein Rudel dieser vermaledeiten Nervensägen. Ein buntes, quirliges und wild strampelndes Durcheinander kämpft sich langsam, diesmal mit 10 km/h (denn es geht bergauf), vor mir die gesamte Straßenhälfte einnehmend, voran.
Ich beginne laut zu weinen. Versuche, meiner Gesundheit zu liebe, so entspannt wie möglich zu bleiben und starre geschlagen auf die unzähligen wackelnden, knochigen Ärsche vor mir. Mein Blick wird trüb und schicksalsergeben schleiche ich der Horde Quälgeister hinterher.
Ich zwinge meine Atmung zu Gleichmäßigkeit und versuche meine zitternden Hände unter Kontrolle zu halten.
Die bunten Sportler machen nicht einmal Anstalten Platz zu machen. Schnaufend und fröhlich plaudernd bewegen sie sich im Zeitlupentempo zu zweit, oder zu dritt nebeneinander (das ist gesetzlich sogar erlaubt!) und verkürzen ohne Scham meine kurz bemessene Freizeit.
Hinter mir kommt das nächste Fahrzeug fast zum Stehen und dahinter ein weiteres. Im Rückspiegel kann ich den schimpfenden, tobenden Fahrer erkennen. Er macht sein Fenster auf und brüllt Worte der fast unaussprechlichen Unzufriedenheit und des Frustes heraus. Worte, die ich bereits vorher alle auf die Innenseite meiner Frontscheibe gespuckt habe. Für so etwas fehlt mir bereits die Energie.
Ich lächle nur mehr schwach und deute dem Schreihals hinter mir meine vollste und innigste Zustimmung. Im Geiste verfluche ich sie alle einzeln. Den Rosernen mit den grünen Streifen und den orangefarbenen Stutzen. Den Roten mit den blauen Dreiecken, den Gelben mit den weißen Punkten.
Die Hoffnung stirbt zuletzt!
Man sagt ja auch, Karma regelt das schon. Nun, ich hoffe sehr darauf. Es wird zu Begegnungen kommen zwischen den Plagen der warmen Jahreszeit. Die Radfahrer werden Wespen verschlucken, oder die Tiere werden sich in den Helmen verfangen und sie böse stechen – mehrmals (bitte!). Wenn die Sportler im Schatten pausieren wollen, werden die Gelsen kommen und an ihnen saugen. Oh, wird das jucken!
Mit diesem, ein wenig beruhigenden Gedanken verfolge ich die Horde der Geschwüre am Gesäß der Menschheit. Ein schwaches Lächeln formt meine Lippen. Oh, ihr werdet alle noch Rechenschaft ablegen, ihr werdet sehen.
Und dann….
… biegen alle auf einmal rechts ab. Die Straße ist frei, man kann wieder eine normale Geschwindigkeit aufnehmen und endlich nach Hause kommen. Ich bin jetzt noch müder und erschöpfter als vorher.
Ein erschreckender Gedanke erfasst mich noch auf dem restlichen Stück des Heimweges. Hoffentlich regnet es morgen, denn dann kommen sie nur vereinzelt heraus, die Wespen, die Gelsen und die Radfahrer.
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