Ziemlich zerstört wache ich am nächsten Morgen auf. Mein Gegenüber schaut mich aus roten Augen übernächtig an. Leise „gönnen“ wir uns das Frühstück im Erdgeschoß des Hotels und fallen danach wieder ins Bett. Wir schlafen bis in den frühen Nachmittag hinein.
Danach holen wir uns eine Kleinigkeit vom Hofer gegenüber und stärken uns für den nächsten Abend beim Festival.
Ich bin ruhig, reserviert. Wüsste auch noch immer nicht, was ich sagen soll. Einmal schneide ich kurz das Geschrei von gestern an. Mein Begleiter meint, dass das ja eh alles besprochen wurde und alles wieder in Ordnung ist. Ich kann mich weder an ein Besprechen, noch an eine Entschuldigung erinnern. Es ist auch sonst keinerlei Reue seinerseits erkennbar.
Ich bin ein harmoniesüchtiger Mensch. Ich hasse Streit. Schon oft habe ich gelesen, dass dieses Verhalten nicht unbedingt gesund ist und man seinen Schmerz in sich hineinfrisst. Trotzdem halte ich weiterhin meinen Mund. Ich will mir den letzten Tag des Events, meines Geschenks, nicht auch noch verderben.
Es geht wieder los!
Dann ist es bald soweit und wir fahren, diesmal mit dem eigenen Auto zum Gelände . Am Vortag habe ich mit Erstaunen bemerkt, dass bei vielen Autos am Festivalgelände das Nummerntaferl fehlt. Sogar bei Polizeiwägen ist dieses Phänomen zu beobachten. Ich habe das meinem Begleiter erzählt, erklären konnten wir uns das beide nicht.
Als wir uns dann ein Parkticket um zwanzig Euro besorgen, fragt mein geistesgegenwärtiger Chauffeur, was es mit den Taferln auf sich hat.
Lächelnd werden wir informiert, dass die von ein paar „lustigen“ Festivalbesuchern gestohlen werden. Das ist auf jedem Festival so, ist eine Art Sport. Aha…Na gut, die Kennzeichen müssen demnach abmontiert werden.
Wir fahren weiter und werden kurz darauf in eine Parklücke auf einer sehr gatschigen Grünfläche eingewiesen. Das Auto meiner Begleitung hat Allradantrieb, das nimmt mir bei dieser Aktion den Stress und ich bewundere die vielen anderen Fahrzeuge der Besucher, die bereits jetzt dreckspritzend irgendwie auf dem Gelände Halt zu finden versuchen.
Die Kennzeichen werden abmontiert und wir marschieren wieder aufs Gelände. Wir werden kurz gefilzt und ab gehts ins Vergnügen. Ich hab heute endlich ein heißes Top an und fühle mich damit viel wohler und angepasster. Manche weiblichen Gäste sind gestern mit heißen, fast nicht vorhandenen schwarzen Teilchen (Kleidchen?) Strapsen und Netzstrümpfen aufgetaucht. Das kann ich schon lang!

Ich übertreibs allerdings net, hab aber ein super schönes Top vom EMP und einen sauteuren, dazu passenden Bh an. Ja, so fühl ich mich wohl! So kann ich den Festivaltag noch mehr genießen.
Das Wetter spielt endlich mit und die Sonne scheint heiß vom Himmel. Wir flanieren über das Gelände, es ist noch nicht viel los. Aber das macht nix. Ein paar (mir) unbekannte Djs geben sich auf den bereits bekannten Bühnen die Ehre, ich hab wieder ein Bier in der Hand und genieße das Flair in vollen Zügen.
Völlig abstinent!
Mein Begleiter trinkt nur Wasser. Sowas hab ich, glaub ich, nur ganz selten bei ihm gesehen. Entweder war es gestern einfach zu viel des Alkoholkonsums, oder er hat doch ein schlechtes Gewissen? Er meint, er muss morgen doch eine ordentliche Strecke Auto fahren (nach Hause), da will er heute nichts mehr trinken. Auch das kenne ich nicht von ihm. Ich nehme diese Situation schweigend zur Kenntnis und hol mir noch ein Bier.
Wir bleiben im „Club Circus“ hängen. Hauptsächlich wegen mir. Die Stimmung hier ist wie Balsam für meine Seele! Mittlerweile ist hier wieder ordentlich was los. Am liebsten wollte ich hier für immer stehen, mitspringen, mitwippen, mittanzen. Mitgrinsen.

Ich muss immer wieder laut auflachen und tanze wild mit, obwohl dabei immer wieder ein bisschen Bier aus meinem Becher schwappt. Das ist mir egal. Im Moment ist mir alles egal. Ich fühle mich so frei, so glücklich, so…unbeschreiblich. Ich hätte nie gedacht, dass mich Musik und Allgemeinstimmung so derart mitreißen würde. Ich bemerke wieder diesen Trancezustand und nehme ihn gerne an.
Wach auf! Wach auf!
Mein Begleiter will jetzt aber weiter gehen und wir holen uns etwas zu Essen. Ich esse ein Burrito und er irgendwas mit viel Fleisch. Wir setzen uns auf wirklich einfallsreich entworfene Sitzgelegenheiten und ich genieße mein Bier, das Essen und die vielen lustigen Gestalten, die bereits wieder an uns vorbeiziehen.

Da ist es wieder, das Einhorn!
Diesmal sind noch mehr verkleidete Gäste unterwegs. Einhörner, natürlich, wer könnte auf sie verzichten? Ich sehe aber auch Aliens (ob sie mich mitnehmen, bitte?) und hm ….. was auch immer. Die Leute sind super drauf, völlig überdreht und an den gatschigen Gummistiefeln erkennt man die Camper unter ihnen.
Es ist heute auch deutlich mehr älteres Publikum unterwegs. Älter als ich und mein Begleiter. Das beruhigt ein bissl. Lässt mich wieder grinsen. Mein Alter hat mich allerdings bis jetzt nicht wirklich irgendwo gestört. Das Elf ist eine Lebenseinstellung, das darf man nicht vergessen! Das hat mit dem eigentlichen Alter überhaupt nichts zu tun.
Wo bist du Gigi?
Nachdem wir uns unsere Stärkung einverleibt haben, gehen wir zum Mainstage. Heute spielt „mein“ Gigi D´Agostino. Wie oft hab ich ihn im Radio, auf CD und dann natürlich als Datei gehört! Wie viele Stunden hab ich mein damaliges Kleinkind zu seiner Musik im Arm gewiegt? Ich kann es nicht erwarten sein „L`Amour Toujours“ zu hören und dabei von einer, mir unbekannten, glücklichen Liebe zu träumen.
Er kommt nicht.
Ich starre ungläubig auf die riesige Bühne vor mir. Wieso? Ich weiß, dass er krank ist, aber es geht ihm doch wieder besser! Oder? Ich trink gierig mein Bier zum Trost auf ex aus und schau ins Handy. Heutzutage weiß man sofort alles über die Medien.
Pauli gibt uns die Ehre!
Es geht ihm leider doch nicht besser. Er kommt nicht. Mein Held. Ich schnapp nach Luft. Stattdessen höre ich doch recht wohlklingende Töne von der beleuchteten Hauptbühne. Und was ist das jetzt? Und wer? Ich bin sauer!
Paul Kalkbrenner. Ich kenne den Namen. Ja und? Wo ist Gigi?
Ich kanns net ändern. Und sobald meine Enttäuschung verflogen ist und ich offen für Neues bin, merke ich, dass dieser Paul Kalkbrenner ja ein wahres Genie ist. Ein paar Tracks kenne ich ja bereits von ihm. Ich wusste allerdings nicht, dass er als Liveact auftritt. Das heißt, er macht die Musik, die wir tausend Zuhörer gerade serviert bekommen, live. Sie ist nicht aus der Dose, oder zuhause, im Pyjama programmiert. Nein, jetzt grad. Er gilt als Künstler und wird hochgelobt. Er ist für Gigi eingesprungen.
Der Pauli gibt ordentlich Gas!
Ich entspanne mich wieder. Ja, ok. Ist eh gut. Naja, … ordentlich gut. Der Pauli macht Stimmung. Die Menschenmenge geht schön mit, fängt langsam an zu toben. Ich auch. Ja, na gut. Hast einen neuen Fan. Obwohls dir wohl wurscht sein wird!

Im Rhythmus der Musik fliegen ganz vorne auf der Bühne Feuerbälle hoch, die bis zu uns nach hinten zu spüren sind. Die Show ist ein atemberaubendes Spektakel. Da vorne steht er. Ein 45 Jahre alter, glatzköpfiger Deutscher und „rockt“ die Bühne als gäbe es kein morgen.
Ich bin wieder milde gestimmt und genieße die Tracks (die Musik), die Leute und die Stimmung. Leider zieht der Himmel immer stärker zu und ich befürchte, dass wir nicht mehr lange ohne Regen weiter feiern können.
Der Pauli kreiert, mischt und gibt sein Bestes. Die Stimmung ist einzigartig. Immer wieder kommt was Neues, was vielleicht noch Besseres, spür- und hörbar über die unzähligen, teils riesigen, Boxen. Es ist ein gigantischer Auftritt, ein unvergleichliches Erlebnis.
Jetzt wirds nass
Und dann… beginnt es zu regnen. Wir flüchten und stellen uns zuerst noch unter die Schirme bei „unseren“ Sitzgelegenheiten. Dort sammeln sich schnell viele andere Besucher und es wird recht schnell recht eng. Ein Einhorn läuft aufgeregt und schutzsuchend bei uns vorbei. Es schreit irgendwas von „…Scheißwetter…“ und ist dann wieder verschwunden.
Der Regen nimmt zu und laut Wetterapp wird sich das nicht mehr beruhigen. Ich schlage den überdachten „Club Circus“ vor und will mich schon auf den Weg machen. Doch mein Begleiter meint nur, dass sich hier jetzt ziemlich sicher die Massen herumschieben werden und er das nicht braucht. Na gut, dann gehen wir halt zum Auto.
Abschied, bis…irgendwann
Ein bisschen benommen wackle ich neben meiner Begleitung in Richtung Ausgang. Wir sind nicht die einzigen. Viele machen sich auf den Weg zu den Autos, oder zu den Zelten. Meine Güte, denk ich mir über diese, allem trotzenden, Jugendlichen. Ihr armen Schweine, eine weitere Nacht in Gatsch und Wasser. Ich geh jetzt zum trockenen Auto und liege dann in meinem warmen, trockenen Bett.
Ich will trotzdem nicht weg. Dieser Ort hier hat mir eine neue Seite von mir gezeigt, die ich nicht wirklich kannte. Dieses kollektive Glücklichsein, diese Höhenflüge, diese lauten Lachanfälle. Ich war zwei Abende so wirklich, richtig glücklich. Hier, am Salzburgring. Dass sich meine Begleitung daneben benommen hat, hat ja nichts mit der Örtlichkeit zu tun. Dies schreibe ich auf ein anderes Konto.
Beim Auto angekommen, werden die Kennzeichen wieder montiert und mit dem Allrad kommen wir ohne Probleme aus unserer Parklücke und auf den Weg zur Ausfahrt.
Das wars, mein Erlebnis beim Electric Love Festival. Endlich war ich dabei, endlich konnte ich es spüren, hören und sehen.
Ich gebe mir heuer ein weiteres Versprechen. Ich werde mir, irgendwann, diesen Traum aus Lautstärke, Licht und greifbarer Freude noch einmal gönnen. Mit der richtigen Begleitung.
Das Bandal hängt auf meiner Pinwand und die Fotos und Videos schau ich mir noch immer häufig an. Es war ein unbeschreibliches Abenteuer. Ich bin froh, es endlich erlebt zu haben.
Achja, Buch gibts keines. Fix.
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