Oder: Dekadenz aus bröckelndem Beton
Heute ist unser letzter Tag. Nach dem Kaffee beginne ich alles wieder in meinen Koffer zu packen, die Hälfte die noch immer darin liegt, ist unbenutzt. Die leichten Sommersachen grinsen mich spöttisch an, ich zeige ihnen die Zunge. Auch heute ist wieder meine Jean mit Pullover angesagt, obwohl die Sonne scheint, ist es doch recht kühl.
Ich zieh das Leintuch und die Bettwäsche ab, pack die gebrauchten Handtücher ein und langsam, Raum für Raum, wird die Mizzi wieder leer. Mein emsiger Skipper trägt die fertig gepackten Taschen, die ich ins Cockpit stelle, bereits zum Auto.
Danach beschließen wir uns noch einen bekannten „lost place“ gleich in der Nähe anzuschauen. Diesmal komme ich fast ohne Hilfe vom Boot. Na bitte, geht doch! Wir marschieren die Kaimauer entlang und erreichen bald eine malerische, einsame Bucht, dahinter kann man schemenhaft einen großen Hotelkomplex erkennen.

Es handelt sich um den „Penthouse Adriatic Club“. 1972 eröffnet. Eine Urlaubsdestination der Reichen und Schönen. Um 45 Millionen Dollar hat Bob Guccione (Gründer vom „Penthouse“-Magazin) damals eine riesige Hotelanlage mit mehr als 500 Zimmern, Wellnessbereich, Indoor- und Outdoorpools, mehreren Bars und einem großen Kasino errichtet. Seit 2002 ist die Anlage geschlossen, wurde nie abgerissen und dient seitdem als Leinwand diverser Graffitikünstler.

Wir betreten das Hotel durch den Haupteingang. Alle Fensterscheiben sind zersprungen, oder fehlen vollständig. Es gibt keine Türen, je weiter man in das Gebäude vordringt, desto besser kann man sich den Glanz und Glamour von damals vorstellen. Viele Wände fehlen, oder wurden durchbrochen. Meine Schritte knirschen, ich gehe über tausende Glasscherben, sie glitzern im Sonnenlicht, das durch nicht mehr vorhandene Fenster und Türen herein scheint. Die meisten verbliebenen Wände und Außenfassaden sind mit wirklich schönen Kunstwerken, aber auch mit banalen Kritzeleien verziert. Es herrscht eine eigenartige, mysteriöse Stimmung. Wir befinden uns im Herzstück, einem großen Saal, dem Kasino.

Von vielen Stellen der Decke tropft Wasser, dadurch haben sich bereits viele Deckenelemente gelöst und sind zu Boden gekracht. Man steigt hier über feuchte, mit rostigen Nägeln versehene Holzplatten. Mein haptischer Trieb ist gebremst. Heute schau ich lieber nur. Ich mache unzählige Fotos, weiß aber nicht, ob ich die Stimmung dieses Ortes auf die Bilder bannen kann. Meine neue, alte, große Liebe (das Buch, ich weiß, ich vergesse es schon nicht) hat den Gimbal mit und versucht die Absurdität der fröhlich leuchtenden Wände und der verfallenen, zerstörten damaligen Dekadenz einzufangen.

Wir sind nicht mehr alleine, langsam kommen immer mehr Besucher, nicht umsonst wird dieser Ort „die beliebteste Ruine Kroatiens“ genannt. Alle fotografieren oder filmen. Auch wir filmen wieder wie die Profis. Wir entdecken ein verfallenes Stiegenhaus und es lockt der obere Stock. Vorsichtig steigen wir die Treppe nach oben. Anfangs fehlt fast die Hälfte und man kann direkt neben den Stufen in die Tiefe schauen. Da zwickt es mich ordentlich im Hintern. Weiter oben wird der Weg ins Obergeschoß breiter.
Nach dem Aufstieg befinden wir uns in einem langen Gang, von ihm zweigen etliche Türen, oder besser Türstöcke ab, durch sie gelangt man in kleine Zimmer mit teilweise grandiosem Blick aufs Meer. Hier sind die Wände auch mit allerlei Aussagen, Bemerkungen und Informationen über nie enden wollende Liebe und diverse Anwesenheiten verziert.

Es sind allerdings weniger hochwertige Kunstwerke zu bewundern. Bis auf ein riesiges Graffiti, das wir von den glasscherbenübersäten Balkonen aus, auf einem Flachdach bestaunen.

Wir schlendern durch den Gang, betreten manchmal ein beliebiges Zimmer und schauen durch die schon lange nicht mehr vorhandenen Fenster. Es gibt Räume, deren Böden vollständig mit zerschlissenen Matratzen ausgelegt sind. In anderen tropft von der gesamten Decke Wasser. Dort hat Rudi seine Liebe zu Sandra kundgetan, hier kann man von der Einsamkeit des Dragan lesen. Da vorne liebt Lisa ihre Anna und da fällt mir ein, dass ich zumindest einen Kajalstift mithabe. Ich grins. Ich teile meinen Gedanken mit meiner neuen, alten, großen Liebe (dazu schreib ich ein Buch, ihr müsst aber noch warten) und er grinst mit mir. Doch hier oben, ist irgendwie nicht der richtige Platz dafür.
Wir kommen zum Stiegenhaus und wollen wieder nach unten. Beim Treppenabsatz finde ich einen Platz. Der ist perfekt! Da gehört es hin. Ich zücke den Kajal und zeichne ein Herz in das ich S+B schreibe.

Er freut sich und filmt natürlich alles mit. So, jetzt sind wir verewigt, bis halt jemand darüber wischt. Ich notiere mir für mich, das nächste Mal einen etwas widerstandsfähigeren Stift, oder Spray mitzunehmen und nachzuziehen.
Wir streunen noch ein bisschen durchs Kasino. Ganz kann ich meine Finger dann doch nicht im Zaum halten. Die Wände fühlen sich teilweise feucht und bröckelig an.
Dann verlassen wir das Hotel über ein kleines Wegerl in Richtung Meer. Bald sind wir wieder in der kleinen Bucht, es fühlt sich an, als wäre man gerade aus einer anderen Welt getreten. Kurze Zeit später sind wir im Hafen und dann auf der Mizzi.
Es ist nicht mehr viel zu erledigen, die Taschen warten ja bereits im Auto. Mizzis Fenster werden verriegelt, die Ventile geschlossen und am Ende der Niedergang abgesperrt.
Ein bisschen Hilfe brauch ich beim Ausstieg noch, es wird langsam besser, ich werde langsam besser. Dann gehen wir zum Auto. Wieder dreh ich mich um „Baba, Mizzi, bis bald.“ Diesmal tut der Abschied net so weh, ich habe das sichere Gefühl, bald wieder da zu sein.
Im Auto lehne ich mich zurück und resümiere wieder. Es war aufregend, kalt, lehrreich, lustig, unruhig, und kalt. Hab ich kalt erwähnt?
Tja, das war meine, beziehungsweise unsere Urlaubswoche. Ich wollte Sommer, Sonne, Spaß, Party, Cocktails und gebräunte Haut. Eigentlich war alles bis auf den Sommer dabei, und der kommt ja noch! Ich grins, lege meine Hand aufs rechte Knie meiner am Steuer sitzenden neuen, alten, großen Liebe (dazu kommt ein Buch, ca. 7000 Seiten) und ernte einen verliebten Blick. Was will ich eigentlich mehr? Das war eine perfekte Urlaubswoche.
0 Kommentare