Oder

Offene Geheimnisse

Endlich steht wieder mal eine Secretbar auf dem Programm. Nach einigen fehlgeschlagenen Versuchen einen Tisch auf einer Reservierungsapp zu ergattern, bleibt mir hierfür nur mehr der Mailverkehr. Selbst der fruchtet erst beim zweiten Versuch, mir wird dann doch endlich ein Tisch von zwanzig bis zweiundzwanzig Uhr versprochen und aufgeregt teile ich diese erfreuliche Nachricht Kathy mit.

„Wir gehen ins Krypt!“

Secret-, oder Speakeasybars haben die Besonderheit ihre Räumlichkeiten öffentlich nicht zu genau kund zu tun. Oft ist eine Adresse bekannt, das heißt aber noch lange nicht, dass hier auch der Eingang, oder dieser als solcher auszumachen ist.

Sobald eine Secretbar bekannter wird, ist dadurch das Geheimnisvolle, oder anmutend Verbotene natürlich nicht mehr vorhanden. Auf einmal wird der ach so geheime Zutritt genau beschrieben, die Geheimcodes der Eingangstüren, oder diverse Hintereingänge fröhlich im Netz mitgeteilt.

Somit sind dann natürlich die Geheimnisse gelüftet und im Zuge dessen werden die einstigen Secretbars rasch zu Kultbars, die sich vor Reservierungen nicht mehr retten können. Eine eierlegende Wollmilchsau sozusagen.

Nicht den Aufzug!

Da ich zwar die Adresse des „Krypt“ habe, mir aber nicht ernsthaft vorstellen kann, dass mir diese Information weiterhelfen könnte, google ich nach diversen Hintergrundinfos. Der Hinweis, „Die Treppe, nicht den Aufzug nehmen…“ taucht immer wieder auf. Sonst finde ich keine weiteren Hilfen und plane mit Kathy bereits ein bisschen früher dort aufzutauchen, um die Gegend nach Aufzügen und dazugehörigen Treppenabgängen zu durchsuchen.

Licht, bitte Licht!!

Um halb acht steigen wir bei der Schwarzspanierstraße aus der 37er-Straßenbahn und wackeln nur kurz die Berggasse bergab, schnell sind wir an der Ecke zur Wasagasse. Hier sollte sich das Krypt befinden. (Wasagasse 17) Das helle dreistöckige Gebäude ist unscheinbar, zwei kleine, verschlossene Holztüren schauen auf die Wasagasse. Von Aufzügen, oder Treppenabgängen keine optische Rede.

Wir versuchen es von hinten. Gleich ums Eck wieder in der Berggasse befindet sich hier laut einem Schild an einer doppelten Holztüre das „Vienna Ballhaus“. Die Türe ist nicht verschlossen, frech drücke ich sie auf und betrete mit Kathy im Schlepptau einen recht dunklen Innenhof.

Hier führen einige Türen vom Hof in die Wohnbereiche, alle sind sie verschlossen. Weiter hinten ist es stockfinster. Schnell habe ich meine Handytaschenlampe bei der Hand und durchstöbere neugierig wie eine Detektivin die hintersten Ecken des Hofes. Auch hier sind alle Türen verschlossen und ich kann keinen offenen Eingang, oder Aufzug, geschweige denn irgendwelche Abgänge entdecken.

Unverrichteter Dinge kehren wir dem Hof unsere Rücken und stehen nach kurzer Zeit recht unschlüssig wieder auf der Kreuzung. Nochmal rütteln wir an der kleinen Holztüre direkt an der Wasagasse, diese ist allerdings verschlossen. Selbst wenn sie der Eingang zum großen Geheimnis wäre, es ist erst dreiviertel acht.

Hier ists nett!!

Kurzer Hand schlage ich Kathy vor, in die Weinschenke gleich gegenüber zu gehen, um dort etwas zu trinken und auf acht Uhr zu warten. Sie ist erfreut dabei und gemeinsam betreten wir das Ecklokal.

Ein junges Mäderl begrüßt uns sehr freundlich und zeigt uns unkompliziert einen Tisch weiter hinten im Lokal. Während sie uns hin begleitet frage ich sie nach dem „Krypt“, sie weist entspannt auf die andere Straßenecke und meint: „Das ist da drüben, man kann es dann gleich erkennen.“ Überrascht ziehe ich die Augenbrauen hoch und überlege, während wir uns unsere Jacken ausziehen, was sie damit meint.

Wir bestellen uns jede einen Limoncello-Spritz. Ich kenne den Zitronenlikör nur pur und in Stamperln. Die großen Gläser, die uns das Mäderl bald herstellt beinhalten ein leicht bitteres, leicht saures, sehr erfrischendes und ja, doch auch sehr starkes Mischgetränk. Für einen heißen Sommertag die perfekte Erfrischung.

Dieses Foto ist aus dem Netz…

„Phu“ sagt Kathy. „Ui…“ sag ich mit großen Augen darauf und zugleich saugen wir gierig an unseren Trinkhalmen. Die Getränke bestehen, laut Mäderl, aus Limoncello, Prosecco und Soda. Lieber hätte ich ihn mit Wein gehabt. (Bitte erinnert mich das nächste Mal!)

Prosecco ist nicht unbedingt mein Lieblingsgetränk, wo andere Damen jungfräulich jauchzend dafür nieder sinken würden, hätte ich, zum Beispiel, lieber Wien, oder auch ein Bier.

Wir quatschen und saugen und fühlen uns hier wohl, obwohl es ein wenig unangenehm hallt, die Räume sind groß, hoch und ungeschmückt. Es duftet herrlich nach Burgern, doch zum Essen sind wir ja nicht her gekommen. Das freundliche Servicemädchen eilt von Tisch zu Tisch und versprüht gute Laune.

Und dann ist es acht….

Um zwanzig Uhr sind unsere Gläser fast leer und unsere Rechnung bezahlt. Wir saugen noch laut gurgelnd die letzten Reste in unsere Münder und machen uns rosawangig daran, uns wieder in unsere Jacken zu packen und auf der gegenüberliegenden Straßenseite nach dem geheimnisumwobenen Lokal zu suchen.

Ich trete zuerst auf die Straße und werfe einen Blick in Richtung der Holztüre. „Geh, bitte….“ entschlüpft es mir enttäuscht und Kathy bleibt staunend neben mir stehen.

Nicht wirklich ein Geheimnis….

Der kleine Eingang ist offen und davor ballt sich eine Menschentraube. Zielstrebig marschieren wir in Richtung des Auflaufs und ich hole sicherheitshalber mein Handy wegen der Reservierungsbestätigung heraus. Bis jetzt habe ich das nicht gebraucht, die Menschen an den diversen anderen Bareingängen hatten Listen mit Namen in den Händen.

Doch hier ist es wohl tatsächlich etwas anders. Die Leute ohne Bestätigung einer Reservierung haben keine Chance. Das wird auch laut und deutlich von zwei jungen Türstehern immer wieder bekannt gegeben.

Selbstbewusst dränge ich mich, mit Kathy hinter mir, durch die Menge und bestätige laut unsere Reservierung. Tja, das will einer von den Mittdreißigern sehen. Cool öffne ich die Mailkorrespondenz von mir und der Bar.

Leider kann ich nur meine eigenen kurzen Texte finden. Die Zusage, dass wir von zwanzig bis zweiundzwanzig Uhr einen Tisch bekommen, ist für mich unauffindbar. Meine vom Limoncello-Spritz gefärbten rosa Wangen verändern sich langsam in ein schönes Mohnrot. Ich kann es wunderbar spüren, während ich hektisch auf meinem Handy herumwische.

„Auf die Seite, bitte!“

… sagt einer der jungen Herren genervt zu uns. Andere Gäste kommen mit gezückten Handys und sogar teilweise nur mit Handschlag an uns vorbei und weiter in die Bar. Tja, die Handschlagzeit ist bei mir schon einige Jahrzehnte her, denke ich kurz wehmütig und wische wieder herum.

Anscheinend hat einer der Türsteher Mitleid mit uns, stellt sich neben mich und tupft ein bisschen auf meinem Handy herum. Wie durch ein Wunder ist das Antwortmail der Bar auf einmal sichtbar und grinsend winkt er uns weiter.

„Verdammt“ denk ich mir, sowas darf mir nicht mehr passieren. Die nächste Zusage, egal von welcher Bar, werde ich screenshotten (also fotografieren) und in einen extra Ordner speichern.

Hereinspaziert, hereinspaziert….

Nachdem wir unsere Jacken an der Garderobe abgegeben haben, betreten wir eine lange, nach unten führende Treppe.

Hier wartet freundlich lächelnd unser Retter auf uns und weist uns zu einem kleinen Tischchen in einer gemütlichen Nische.

Meine Wangen haben wieder das jugendliche Limoncello-Rosa angenommen und neugierig schau ich mich hier um.

Wir befinden uns in einem zweihundertfünfzig Quadratmeter großen, unterirdischen architektonischen Juwel; einem Kellergewölbe mit einer angeblichen Vergangenheit als halblegaler Jazzclub in den 1950er/1960er-Jahren.

Die sieben Meter lange Bar aus Marmor und Nussholz ist gleich in unsere Nähe.

Es gibt einige Nischen in denen gemütliche Sitzlounges versteckt sind und Rückzugsmöglichkeiten bieten.

Die extravagante Innengestaltung durch das Wiener Büro KLK wurde mit dem American Architecture Price 2017 ausgezeichnet. (Ich hab`s gegoogelt…)

„Was darf ich den Damen bringen?“

fragt der Retter/Kellner freundlich. Stimmt, mit Schauen alleine, kommen wir hier nicht weiter und ziemlich überfordert versuchen wir rasch in einem hier überall herrschenden Dämmerlicht die angebotenen Cocktails auf der schwarzen Karte zu entziffern.

Der Servicemensch nickt wissend über unsere Unentschlossenheit und empfiehlt uns einen Lazy Day Lemonade, der wird uns sicher schmecken, meint er. Dazu ertönt „Nothing Around Us“ von Mathame, Lyke.

Recht flott stehen unsere unscheinbaren Getränke vor uns.

Die optischen, trinkbaren Highlights, die ich mir immer wünsche und so selten serviert bekomme, werden wohl nur in speziellen Bars angeboten und ich denke, ich kenne diese bereits. (Und ihr auch, wenn ihr brav mitlest.)

Das Saftl ist gut, nicht zu süß und erfrischend. Kathy und ich quatschen fröhlich und genießen die Atmosphäre.

Full house

Die kleinen Tischchen in den Nischen, die größeren weiter vorne und auch an der Bar ist bereits jetzt kein Platz mehr frei.

Neben uns sitzt sich ein junges Pärchen gegenüber. Sie lassen sich ebenfalls vom Service Cocktails empfehlen und ab dem zweiten Getränk setzt sich das Männchen neben seine Begleitung auf die Bank und legt den Arm um sie.

Unsere Getränke sind mittlerweile wieder leer und zu „Away With Me“ Fideles Remix-Extended von Ross Quinn, Fideles versuchen wir wiederum uns für einen Cocktail zu entscheiden.

Ich finde die Auflistung der Getränke sehr unübersichtlich und bei diesen Lichtverhältnissen kaum erkennbar.

Krampfhaft entziffern wir diverse Zutaten, die uns meist allerdings eh nichts sagen.

Aufmerksam, trainiert, oder beides kommt unser Kellner/Retter wieder zu unserem Tisch. Unsere fragenden unschlüssigen Blicke lassen ihn wieder erfreut nicken und er meint, er wisse genau was er uns als nächstes bringen möchte, nämlich einen Will You Be My Clementine.

Zu „And We Knew It Was Our Time“ von Lane 8, Massane verabschiede ich mich kurz von Kathy und mache mich auf die WC-Suche.

Mein Weg führt mich einen langen gewölbten Gang entlang, kleine Abzweigungen zeigen mir mehr und mehr besetzte Tische und sogar eine weitere, kleine versteckte Bar mit Minidiscolicht.

Frisch und hell

Die Toilette ist geräumig, gut duftend und sauber. Große Spiegel zeigen mir, dass zumindest optisch mit mir alles in bester Ordnung ist und ich verlasse selbstbewusst und mit einem entspannten Lächeln den Sanitärraum um mich auf den Rückweg zu machen.

Trotz düsterer Beleuchtung finde ich ohne gröbere Probleme wieder zu unserem Tisch. Darauf stehen bereits unsere neuen Cocktails. Sie gleichen den vorherigen bis auf die Zitrusfruchtscheibe darin.

Kathy macht derweil bereits konzentriert Fotos davon und blickt dann grinsend zu mir auf. Ich grins zurück.

Die Cocktails schmecken auch ähnlich den anderen und somit bleiben wir bis jetzt auf der herben, leicht bitteren, jedoch erfrischenden Schiene.

Wir quatschen, lachen und lästern während wir uns die kleinen (natürlich wieder ungeschmückten, … schade…..) Gläser an die Lippen führen.

Die Stimmung und die Atmosphäre ist gut, das Ambiente einzigartig. Das Service sehr zuvorkommend und die Getränke schmackhaft. Wiederkommen? Ja, vielleicht.

Während am Nebentisch bereits wild geschmust und das jeweilige Gegenüber mit anscheinend geübten Fingern abgetastet wird, kommt unser Retter/Kellner und möchte gerne kassieren. Tja, es ist gleich zweiundzwanzig Uhr.

Kathy übernimmt die Rechnung. DANKE, Süße!

Und zu „Alive-THEMBA Remix“ von Franky Wah, Vintage Culture, Themba verlassen wir dieses unterirdische, wohl bereits in den Kult rutschende Pseudogeheimnis.

Und jetzt?

Es ist kurz nach zehn Uhr abends. Unter der Woche sicher Zeit ins Bett zu gehen, am Wochenende allerdings erst gefühlter Spätnachmittag.

Ich grins Kathy an und sie grinst mich an. Ohne weitere Worte über unser nächstes Ziel zu verlieren, steigen wir wieder in die Straßenbahn Richtung heimwärts.

Pool?

Wir steigen Glatzgasse aus und nur ein paar Schritte weiter werden wir freundlich mit den Worten: „Hallo, schön euch wieder zu sehen!! Zwei Swimmingpools?“ begrüßt. Ich nicke nur freundlich zurück.

Grinsend nehmen wir im freundlich erhellten, warmen „The Secret“ an einem Tischerl Platz und freuen uns auf zwei picksüße, hellblau leuchtende, mit einer Orangenscheibe verzierte, sicher mindestens jeweils fünfhundert Kalorien habende, wunderbare Cocktails.

Cheers!


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