Ich schrecke hysterisch auf, etwas kitzelt mich unter den Decken am Fuß. Ich werfe sie im hohen Bogen von mir und ziehe die Beine an. Ich bin wach, vollständig!
Mein Herz klopft und ich erwarte mir einen krabbelnden Mitbewohner auf meiner Matratze. Doch da ist nichts, oder nicht mehr.
Tja, nun. Ich bin jetzt wach und tapse auf Zehenspitzen ins Bad.
Nach dem allmorgendlichen „K-Check“, mach ich mich fürs Frühstück fertig.
Wir wissen alle bereits Bescheid. Feta, Oliven und Spiegeleier, obwohl….ich kanns eigentlich nicht mehr sehen.
Die alltäglichen privaten kleinen Katastrophen rundherum und der immer wieder, ich habe es noch gar nicht erwähnt, überraschend gute Kaffee.
Mit Harry und Mike am Strand
Danach packe ich meine Badetasche zusammen und marschiere zum Strand. Neugierig spaziere ich noch ein bisschen das Kiessandgemisch entlang, Richtung Stadt. Nach kurzer Zeit stehe ich neben einem wunderschön bewirtschafteten Strand.

Tolle Liegen und eine bezaubernde kleine Bar lassen meine Augen groß werden.
Ein Holzschild informiert mich, vor mir liegt die Mylos-Beachbar.

Kein einziger Gast lässt es sich hier gut gehen. Ich wundere mich. Naja, wir haben erst Mai…
Ich gehe zurück zum hoteleigenen Strandabschnitt, das Prozedere der Entspannungsorganisation ist mir ja bekannt und schnell habe ich eine gemütliche Liege im Sand. Diesmal in zweiter Reihe, trotzdem mit schönem Blick nach vorne zum Meer. Es leuchtet heute schön blau und ich kann es auch ein bisschen riechen.

Ich mache es mir gemütlich und nehme mein Buch zur Hand. Ich lese im Moment die Biographie von Prinz Harry. Sie ist überraschend interessant und berührend, man kann sich wirklich vorstellen, was in diesem „Reserve“-Mann vorgeht.
Gerade trifft er Meghan und verliebt sich Hals über Kopf in sie. Ich weiß, wie die Geschichte, zumindest bis zum aktuellen Stand, ausgeht, bin aber trotzdem irgend wie nervös dabei. Was die beiden mit den Presseleuten mitmachen, ist wirklich unglaublich.
Flucht und Geschrei
Während ich auf dem (bis jetzt) geräuscharmen Strand mit Harry und Meg vor den brutalen Reportern flüchte, beginnt ein paar Liegen weiter ein Kind zu schreien. Anfangs versuche ich die Belästigung noch zu ignorieren, als aber ein weiteres einsteigt, schaue ich doch hoch und orte den Quell des Unbehagens.
Auch andere Gäste schauen genervt und grummeln vor sich hin, oder seufzen hörbar.
Zwei Sonnenschirme, rechts von mir entfernt, lagert eine wohl britische Familie. Die junge Mutter, schwer übergewichtig und rothäutig, versucht soeben eines ihrer drei (!) quengelnden, milchig-weißen, kleinen Sprösslinge zu beruhigen. Es handelt sich beim hörbaren Nachwuchs um ein zirka drei Jahre altes Mädchen, ihre etwas jüngere Schwester und ein Baby. Die Liegen daneben gehören wohl den Großeltern. Der männliche Part fehlt.
Zu allem Überfluss beginnt jetzt auch noch das jüngste mitzubrüllen. Die Gäste auf den Liegen rundherum werden unruhig. Um die Lage zu deeskalieren, beginnen alle rot-, beziehungsweise weißhäutigen englischen Familienmitglieder zu singen. Ungläubig beobachte ich mit einigen anderen die bizarre Situation. Der fragwürdige Gesang beruhigt den Spross aber leider doch nicht und ich beschließe, mir beim Kiosk ein Bier zu holen.
Es ist Vormittag, es ist mir egal, ich bin auf Urlaub. Mit dem Hopfengetränk bewaffnet, trau ich mich wieder in die doch behelligende Geräuschkulisse. Ich lasse mich auf meiner Liege nieder und öffne zischend mein erfrischendes Mythos.
Die Köpfe der Badegäste, die zur schreienden Brut gedreht waren, wenden sich und schauen jetzt alle fast ausnahmslos zu mir. Die männlichen Hotelbewohner blicken, fast traurig, auf mein grünes Flascherl, ich hebe es ein wenig und proste ihnen grinsend zu. Manche grinsen, die anderen trauen sich nicht.
Danach wird auch noch meine Lektüre, die ich auf meiner Liege abgelegt habe, wahrgenommen und ich beginne augenblicklich spürbar zu polarisieren. Ich bin amüsiert, lehne mich zurück, schau aufs Meer und versuche das Geschrei von rechts auszublenden.
Echt jetzt..?
Dann taucht er auf. Der kleine bunte Mann mit der Schwimmnudel. Das Schwimmgerät hat er diesmal nicht mit, dafür ein junges, anscheinend sehr schüchternes Mäderl. Sie versucht sich hinter dem kleinen Mann zu verstecken, was aber nicht funktioniert, sie ist fast einen Kopf größer.
„Hallo, ich bin der Mike!“ ruft er schon von weitem in unsere Richtung. Die meisten Gäste drehen sich augenrollend weg. Ich nicht, ich schau leider zu lange blöd hin und er startet schnurstracks auf mich zu. Na geh….
Ich gönne mir noch einen kräftigen Zug aus meinem kühlen Mythos und schon steht er vor mir, der Mike.
„Ich bin der Mike!“ schreit er mir ins Gesicht. „Oh, ich weiß.“ sag ich. „So alleine?“ – „Ja.“ – „Möchtest du mit uns im Pool ein bisschen turnen?“ – „Na, eher nicht, danke schön.“-„Coole Sonnenbrille zu einer coolen Frau.“ sagt er und entlockt mir damit ein Grinsen. „Das ist Wanda meine Assistentin.“ Ich begrüße das Mäderl. „Wanda, was für ein ausgefallener Name. Mag ich. “ – „Also, wenn du was brauchst, oder dir langweilig ist, frag einfach nach mir.“ sagt er – „Danke, ist gut.“ ich muss nochmal grinsen und nicke weise.
Die beiden gehen weiter und schreien den nächsten nach Entspannung suchenden Badegast an.
Die Familie von rechts, packt zusammen und geht. Mike und Wanda ziehen auch weiter und es kehrt wieder eine angenehme Ruhe ein.
So, also, wo warma, Harry?
Es glitzert und funkelt und sie strahlt
Das Mittagessen lasse ich aus und kurz darauf fahren wir in die Stadt. Sandra hat bald Geburtstag und Andi möchte ihr gerne etwas bei ihrem Lieblingsjuwelier kaufen. Ja, das nenne ich mal eine Ansage!
Mittlerweile hustet Sandra auch und ich frage mich, wann es bei mir los geht. In der gesamten Hotelanlage ist immer wieder ein herzerweichendes Husten irgendeines Gastes zu hören, eigenartig …. Man hat das Gefühl, die Hälfte der Hotelbesucher sind bereits krank. Ein dumpfe Erinnerung an die Pandemie erwacht in mir. Mehr als dumpf lasse ich sie aber nicht zu. Bloß net hysterisch werden!
Irgendwie versuche ich dem Atem meiner Leute auszuweichen, das ist aber fast nicht möglich. Immer wieder stehen wir in den Geschäftchen eng beisammen, bestaunen, beraten und probieren.
Dann kommen wir zu dem „berühmten“ Juwelier und da Sandra hier ja doch bereits seit vielen Jahren Urlaub macht und dem glitzernden, schmückenden Beiwerk nicht abgeneigt ist, wird sie hier mit großem „Jassu!“ begrüßt. Sie betritt strahlend das Geschäft und weg ist sie.
Wir drei suchen uns ein schattiges Platzerl in einer nahen Taverne und warten. „Das kann dauern…“, meint Andi. Aber das macht ja nichts. Wir sitzen hier und beobachten die vorbei schlendernden Leute. Natürlich taucht auch wieder ein vierbeiniges, kuschliges Pelztier auf, lässt sich kurz streicheln und erfrischt sich bei einem Brunnen gleich bei uns ums Eck.

Und dann …
… kommt Sandra mit zwei Ketterln in der Hand aus dem Geschäft und zeigt uns beide. Sie kann sich nicht entscheiden. Wir beratschlagen und sind uns bald einig. Ein fragender Blick von Sandra zu Andi, der nickt wohlwollend, sie lacht auf wie ein kleines Mäderl und läuft leichtfüßig zurück.
Nach kurzer Zeit kommt sie mit einem schönen Papiersackerl daher und setzt sich grinsend zu uns. Sie bestellt sich etwas zu trinken, hustet und lehnt sich glücklich zurück.
Ich habe für meinen Teil beschlossen, heute, am letzten Abend, Essen zu gehen. Ich möchte endlich ein ordentliches Gyros, oder Souflaki, oder einen Saganaki. Ich bin in Griechenland, verdammt!
Wir schlendern noch ein bissl durch die Gässchen und machen uns dann auf den Heimweg.
Sowas hab ich noch nie gemacht!
Bald ist Zeit fürs Abendessen. Das ist meine Prämiere, ich bin noch niemals alleine essen gegangen. Nun, im Grunde weiß ich ja wie es geht. Es ist wieder ordentlich kühl geworden. Ich trage eine Hose, einen dünnen Pullover und eine Weste.
Voller Tatendrang und Hunger verlasse ich das Hotelgelände und schlendere die belebte Straße in Richtung Stadt entlang. Ich gehe nicht weit, da lacht mich bereits eine gemütlich aussehende Taverne mit einem handgeschriebenen Schild an. Hier gibts Gyros, na dann, rein mit mir.
Ein bissl komisch ist es schon
Sofort kommt mir eine junge Dame entgegen, strahlt mich an und zeigt mir einen kleinen Tisch. Ich nehme Platz und sie drückt mir sofort eine Karte in die Hand. Ich lächle sie an und entspanne mich langsam.
Vor mir in einigen Metern Entfernung hängt ein großer Bildschirm, er zeigt ein Fußballmatch und die wenigen Gäste, die bereits anwesend sind, starren gebannt auf die Mattscheibe. Ich habe keine Ahnung, welche Mannschaften sich hier um den schwarz-weißen Ball streiten, es ist mir auch egal.
Die Karte halte ich nur proformamäßig in den Händen. Ich weiß natürlich längst was ich will. Die Kellnerin kommt nach einiger Zeit wieder zu mir und ich bestelle mir ein Mythos und ein Gyros.
So wies sein soll, so wies immer war und wie es immer in Griechenland sein wird!
Lamprós!
Nach kurzer Zeit stehen meine Bestellungen vor mir und sie lassen keine Wünsche mehr offen. Sie schmecken beide herrlich! Zusammen ein unvorstellbarer Genuss. Ich bin keine große Esserin, und die Nahrungsaufnahme ist mir eigentlich nie wichtig gewesen, doch in diesem Fall, war es mir ein Bedürfnis. Genau das hab ich wirklich gebraucht!
Ich grins das Mädel, sicher mit Tsatsiki im Gesicht, freundlich an und sie lächelt zurück und freut sich mit mir.
Die anderen Gäste schreien auf, es ist ein Tor gefallen, es lässt mich kalt. Verliebt schau ich auf mein bereits zur Hälfte gegessenes Gyros und bin selig.
Nur wer seinen eigenen Weg geht, kann von niemandem überholt werden!
Außerdem kommt noch der Stolz auf mich selbst hinzu. Ich habe es tatsächlich getan! Bin alleine losgezogen und bin alleine Essen gegangen. Ein fremdes, berauschendes Gefühl. Was man nicht alles alleine kann! Ich habe mich gerade selbst überrascht.
Vielleicht klingt das jetzt für manche eigenartig, aber für mich ist dieser Augenblick eine große Erfahrung und ich habe mich gerade selber wieder ein bisschen besser kennen gelernt. Ich habe soeben meine Grenzen überschritten und… es ist nix passiert!
Ich bin fertig und zahle. Dann spaziere ich weiter in Richtung Stadt.
Und dann…
… hör ich es auf einmal…. Von links weht mir, über einen großen Parkplatz kommend, ein griechischer Partysound entgegen. Der Parkplatz ist halb voll. Ich bleib stehen, ich bin hin und her gerissen. Soll ich mir das anschauen, oder doch lieber weiter in die Stadt gehen? Ich bin alleine unterwegs…irgendwie hemmt das.
„Aber hinschauen, kannst ja…“ meldet sich mein mutiges Ich. „Vielleicht wird das ein irres Erlebnis! Du würdest es bereuen, wenn du weiter gehst.“… die Stimme ist ein bissl lästig.
Andere Leute gehen an mir vorbei, schauen mich überrascht an. Ich steh da mitten auf dem breiten Gehsteig und diskutiere im Geiste mit mir selbst.
Und dann….
… bewege ich mich wie ferngesteuert über den Parkplatz der Musik entgegen. Ich komme zu eine gemauerten Umzäunung mit einem Torbogen als Eingang. Daneben hängt ein Schild „Mylos-Beachbar“. Na Hoppala …. da war ich ja heute schon!
Die Gäste, und es kommen ständig welche daher, gehen hier einfach durch, ohne Eintritt zu bezahlen. Ich warte kurz und betrete dann nach der Gruppe die Beachbar.
O M G !!
Die Eindrücke sind enorm. Vor mir taucht eine Windmühle, von tiefrosa Bourgainvillea be- und umwachsen, auf.

Links, ein Motto, das uns allen das Leben erleichtern würde.

Rechts von mir eine beachtliche mit Holz überdachte Tanzfläche. Die Musik ist wohl griechischer Pop, er klingt wunderbar, er klingt nach Freiheit und Urlaub. Die Leute tanzen und die Stimmung ist ein Wahnsinn.

Ich grins. Langsam geh ich weiter, filme und fotografiere. Weiter hinten eröffnet sich mir ein bekanntes Bild. Der Strandabschnitt von heute Vormittag. Die Liegen sind noch immer alle leer, das wird sich aber sicher zu späterer Stunde ändern.

Ich schaue in die urlaubs- und partymäßig gekleidete, tanzende, lachende Menge und wünschte mir zumindest meinen Minirock her.
Dann erkenne ich ein paar Männer, die mich ebenfalls mustern. Sie schauen weg, grinsen und nicken. Ok, ich muss hier weg. Hätte ich nur jemand zweiten hier, dann könnten wir hier Party bis morgen Früh machen. So ist das für mich nicht möglich, ich bin hier Freiwild. Auf einmal bin ich wieder froh, meine Hose anzuhaben.
Ich mach noch ein paar Fotos und bewege mich langsam zum Torbogen zurück. Ich bin kein kleines Mäderl mehr, doch ich könnte gerade wie eines heulen, weil ich nicht bleiben kann.
Dies hier wäre ein wahrhaft willkommenes Highlight, dies hier wäre ein würdiger Abschluss meines Kos-Urlaubs, mein sehnsüchtig erwarteter Beach-Club-Abend.
Und in dem Moment wird mir, klar, dass ich heute Abend nicht alle Grenzen überschreiten kann.
Aus der Traum
Mit feuchten Augen und irgendwie tauben Beinen, taumle ich über den Parkplatz zurück auf die Straße. Stur marschiere ich Richtung Stadt weiter. Irgendwie bin ich auf einmal aufmerksamer und vorsichtiger. Aus einer leeren Boutique am Weg lacht mich ein knallrotes Top an, das brauch ich jetzt zum Trösten.
Je näher ich dem Stadtzentrum komme, um so öfter kommen mir Horden englischer, meist männlicher Jugendlicher, entgegen. Sie pöbeln, sie stänkern, sie grunzen und schreien. Ich wechsle immer öfter die Straßenseite. Dann frage ich mich, und was willst du dann in der Stadt machen? Da wimmelt es von diesen Individuen.
Zum zweiten Mal an diesem Abend bleib ich mitten auf dem Gehsteig stehen und geh in mich. Dann drehe ich mich langsam um und bewege mich wieder in Richtung Hotel.
Auf einmal bin ich müde, bin genervt von all dem Trubel rund um mich. Ich schau in mein Sackerl mit dem roten Top und grins. Ja, für heute ists genug.
Meine Leute melden sich auf meine WhatsApp-Nachrichten nicht mehr, sonst hätte ich noch bei ihnen vorbei geschaut.
Nach einem doch längeren Spaziergang betrete ich dann mein Zimmer. Mach den K-Check und bin bald im Bett.
Ich freu mich nochmal über das herrliche Gyros, das ich wohl gerade verdaue, ich trauere über meine Abwesenheit auf der Party und bin überrascht, wie gut rote Tops trösten.
Kalinichta
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